Von Rettern und Rebellen by Christian Raap Klaus-Peter Willsch
Autor:Christian Raap Klaus-Peter Willsch [Klaus-Peter Willsch, Christian Raap]
Die sprache: deu
Format: mobi
Herausgeber: FinanzBuch Verlag
veröffentlicht: 2015-08-20T22:00:00+00:00
DER FISKALVERTRAG
Parallel zu der Neuverhandlung des ESM fiel auf dem Ratsgipfel vom 9. Dezember 2011 auch der Startschuss für einen »Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion«. Dabei handelte es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag zur Stärkung der Haushaltsdisziplin. Die Unterzeichnerstaaten verpflichteten sich, innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Vertrages nationale Schuldenbremsen zu etablieren. Die Bundesregierung drang darauf, dass dies analog zu Deutschland in Form einer Verankerung in der Verfassung zu erfolgen habe. Der Formulierung »Verfassungsrecht oder vergleichbares Recht« wurde aber in späteren Verhandlungsrunden das schöne Wort »vorzugsweise« vorangestellt.
Einige Mitgliedstaaten, deren Verfassung nur infolge einer Volksabstimmung geändert werden konnte, schreckten vor diesem Schritt zurück, weil ein solches Plebiszit einer Abstimmung über die Euro-Rettungspolitik gleichkäme. Solche Bedenken wurden ausdrücklich von Irland und Finnland geäußert. Die Bundesregierung klagte im Haushaltsausschuss darüber, dass so aus der gewünschten Verbindlichkeit ein »Wunschkonzert« werde. Mit unklaren Bekenntnissen könne man nicht das Vertrauen von Investoren in Asien oder der Pensionsfonds in Amerika gewinnen, befürchtete der neue Finanzstaatssekretär Thomas Steffen, der dem in das Direktorium der EZB gewechselten Asmussen nachgefolgt war.
Die Schuldenbremsen sollten nun in »verbindlicher und dauerhafter Art«, »vorzugsweise mit Verfassungsrang« Eingang in die nationale Gesetzgebung finden, hieß es als Kompromiss in Art. 3 Abs. 2 des Fiskalvertrages. Das jährliche strukturelle Defizit, also der Teil des jährlichen Defizits, der nicht auf konjunkturelle Schwankungen oder befristete beziehungsweise Einmaleffekte zurückzuführen ist, durfte 0,5 Prozent des BIP nicht überschreiten. Ausnahmen waren nur vorgesehen, wenn der Schuldenstand eines Landes deutlich unter 60 Prozent lag. Um Abweichungen vom Zielwert sofort entgegensteuern zu können, sollte auf Nationalstaatsebene ein Korrekturmechanismus eingeführt werden.
Im Fiskalvertrag war auch ein Klageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zur Durchsetzung der Schuldenbremse vorgesehen. Die Bundesregierung hatte vorgeschlagen, der Kommission das Klagerecht bei Vertragsverletzungen einzuräumen, damit sich die Mitgliedstaaten nicht gegenseitig verklagen mussten. Heraus kam ein schlechter Kompromiss. Wenn die Kommission Verstöße feststellte, war das Präsidentschafts-Trio des Europäischen Rates innerhalb von drei Monaten zur Klageerhebung vor dem EuGH verpflichtet. Da eine Ratspräsidentschaft nur sechs Monate dauert, sollte auf diese Weise verhindert werden, dass eine Klage einer Diskontinuität zum Opfer fällt. Neben der aktuellen Ratspräsidentschaft gehören dem Trio noch die beiden Staaten an, die davor und danach die Präsidentschaft inne hatten beziehungsweise haben. Wenn auch das Klageverfahren bei dem säumigen Staat nichts bewirken würde, sollte eine saftige Geldstrafe in Höhe von 0,1 Prozent des BIP verhängt werden. So müssten zum Beispiel Deutschland und Frankreich rund 28 Milliarden beziehungsweise 21 Milliarden Euro Strafe zahlen.
Um politischen Kuhhändeln einen Riegel vorzuschieben, sah der Fiskalvertrag auch eine Änderung beim Abstimmungsmodus im Europäischen Rat vor. Wenn die EU-Kommission ein Defizitverfahren einleitete, waren die anderen Mitgliedstaaten verpflichtet, die Kommission zu unterstützen, wenn sich nicht eine qualifizierte Mehrheit dagegen aussprach. Staaten, die sich in einem Defizitverfahren befanden, mussten sich Anpassungsprogramme auferlegen, die von Rat und Kommission genehmigt und überwacht werden sollten.
ESM und Fiskalvertrag sollten zu einer Verknüpfung von Solidarität und Solidität führen. Die Bundesregierung wollte anfangs in beiden Verträgen festschreiben, dass Finanzhilfen aus dem ESM nicht befürwortet werden könnten, wenn das betreffende Land den Fiskalvertrag nicht ratifiziert oder umgesetzt habe.
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